Brief an Herrn Bischof Dr. Huber vom 22.06.2007 als pdf.-File
Betrifft: Friedhofsbebauung an der Heinrich- Roller- Straße in 10405 Berlin, betreffend die Gemeinde St. Petri- St. Marien,
Friedhof St. Marien / St. Nikolai II sowie Georgen- Parochial I.
Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Huber,
Wir schreiben an Sie als Bürgerinitiative und Bewohner der Wins-, Kollwitz- und Bötzowviertel. Unter uns sind viele Christen und aktive Gemeindemitglieder.
Wir sind nicht einverstanden mit der geplanten Friedhofsbebauung an der Heinrich- Roller- Straße in 10405 Berlin, betreffend die Gemeinde St. Petri- St. Marien,
Friedhof St. Marien / St. Nikolai II sowie Georgen- Parochial I.
Im Friedhofsentwicklungsplan vom Juni 2006 wurde ein 50 m breiter Streifen des o. g. Friedhofs auf Wunsch und Einwirken der St. Petri- St. Marien Gemeinde zur „sonstigen Nutzung“ vorgeschlagen, was u. a. auch eine bauliche Nutzung beinhalten kann. Wie wir von Pfarrer Krug erfahren haben, wird derzeit der Verkauf des Geländes an einen potentiellen Investor vorbereitet, welcher auf Teilen des jetzigen Friedhofsgeländes Wohnhäuser bauen soll .
Dies ruft bei allen Anwohnern Gefühle der Fassungslosigkeit, Enttäuschung und Wut hervor.
Wir haben eine Bürgerinitiative gegründet „ gegen den Verkauf von Teilen des Friedhofs als Bauland und für seine Erhaltung als Friedhof, Grünfläche und Biotop“. Die Anzahl der Mitglieder wächst täglich. Innerhalb von nur 14 Tagen unterstützten über 1500 Bewohner der umliegenden Viertel unsere Forderung mit ihrer Unterschrift. Eine immer größere Öffentlichkeit interessiert sich für dieses nicht nachvollziehbare Vorhaben der Gemeinde.
Wir fordern Sie auf, die Verkaufspläne der St. Petri- St. Marien Gemeinde zu stoppen. Dafür sprechen eine Reihe von Gründen:
Dieser Friedhof wurde 1858 vor den Toren der Stadt angelegt. Er ist ein kulturhistorisches Erbe. Die Kirche zerstört mit der Bebauung eines der wenigen noch vorhandenen Zeitdokumente der Vergangenheit in der Innenstadt.
Zu Zeiten der DDR gab es bereits erfolglose Bestrebungen der Bebauung dieses Friedhofs. Der Friedhof überlebte die beiden Weltkriege und den Sozialismus und soll nun der freien Marktwirtschaft zum Opfer fallen?
Ist der evangelischen Kirche die Beteiligung am Immobilienboom Berlins wichtiger als die Bewahrung ihres und unseres Erbes?
Der Stadtteil Prenzlauer Berg gehört zu den dicht besiedeltsten Wohngegenden Berlins, im Winsviertel ist die Bevölkerungsdichte noch einmal fast doppelt so hoch. Von den Menschen, die hier leben, sind 15,8% jünger als 18 Jahre. Die Geburtenrate im Prenzlauer Berg ist nicht nur in Berlin, sondern europaweit die höchste. Gleichzeitig gibt es einen extremen Mangel an Grünflächen, insbesondere in den innenstadtnahen Gebieten wie dem Winsviertel. Das ist besonders hart für die Kinder unseres Viertels. Der Friedhof an der Heinrich- Roller- Straße ist in seiner jetzigen Anlage eine Oase für die Menschen, ein Ort der Erholung, Einkehr und kontemplativen Entspannung. Inmitten des innerstädtischen Verkehrs mit seiner Umweltverschmutzung gibt es einen Ort der Ruhe und Beschaulichkeit, frei von Autolärm und Abgasen. Hier leistet der Friedhof und damit die für ihn verantwortliche Gemeinde einen entscheidenden Beitrag für die Gesundheit und den inneren Frieden der Anwohner aller Altersgruppen. Wir alle lieben und nutzen den Friedhof.
Ein weiterer Grund für den Erhalt dieser Fläche als Grünfläche ist, dass durch die minimale Bewirtschaftung seit Jahrzehnten hier Lebensraum für zahlreiche Spezies entstanden ist. Die Nachtigall singt im Prenzlauer Berg! Die gesamte Friedhofsfläche wird aus Sicht der Naturschützer als besonders wertvoll eingeordnet. Es hat sich ein Kleinod der Schöpfung hier in der Innenstadt der Großstadt erhalten, welches nun mit der Bebauung zerstört wird.
Eine Blockbebauung an der Heinrich-Roller-Straße hätte auch schwerwiegende stadtklimatische Auswirkungen durch Unterbrechung einer Frischluftschneise, die vom Volkspark Friedrichshain kilometerweit bis zur Danziger Straße reicht. Tausende Anwohner wären betroffen. Wer wird in späteren Jahren für solche irreversiblen, stadtökologisch bedeutenden Einschnitte zur Verantwortung gezogen?
Die Gemeinde St. Petri/ St. Marien will das Gelände verkaufen, um sich laut Pfarrer Krug „zu entschulden und langfristig zu sanieren“. Wie kann man sich finanziell entschulden, indem man neue, nämlich ökologische Schulden, aufnimmt?
Um die Friedhöfe nach der Wende in ihrer gesamten Fläche wieder eröffnen zu können, hat die Gemeinde Fördergelder in Millionenhöhe von der Stadt Berlin bekommen. Der größte Teil der bisher erfolgten Sicherungsmaßnahmen wurde mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, des Landesdenkmalamtes Berlin und öffentlichen Sonderprogrammen durchgeführt. Inzwischen werden verstärkt arbeitspolitische Maßnahmen wie ABM, Hilfe zur Arbeit und andere Programme auf den Friedhöfen durchgeführt. Im Jahre 1995 bewilligte der Senat 6,11 Millionen Mark, um die Friedhöfe wiederherzurichten. Dem Sicherungskonzept lag damals besonders der „Ensemblegedanke“ zugrunde, d.h. in sich geschlossene Strukturen sollten erhalten bleiben. Mit Mitteln der Stiftung der Deutschen Klassenlotterie Berlin wurde u. a. die Friedhofsmauer im Bereich der Heinrich- Roller- Straße saniert.
Wir fragen uns, ob die Gemeinde nicht doppelt kassiert, wenn sie nun einen Teil dieser Fläche zu hohen Immobilienpreisen verkauft? Die Kirche muss sich durch Glaubwürdigkeit „sanieren“ nicht durch zweifelhafte Grundstücksverkäufe. Gerade diese Glaubwürdigkeit setzt sie hier wissentlich aufs Spiel.
In vielen Familien, v. a. unter den jungen Menschen, gibt es heute eine Rückbesinnung auf religiöse Werte, eine Suche nach Spiritualität. Immer wieder hat sich die Kirche mit Betonung von Werten wie Nächstenliebe, Verantwortung für das Leben, Gemeinsinn... gegen die ausschließlich materielle Ausrichtung unserer Gesellschaft gewandt. Evangelische Kindergärten und Schulen haben wieder einen großen Zulauf. Die evangelische Kirche hat auf dem Kirchentag in Köln laut die Stimme erhoben für die Verantwortung für Schöpfung und Gesundheit. Im Abschlussgottesdienst am 10.6.07 wurde vor über 100 000 Teilnehmern die Frage gestellt: „Wie gehen wir mit unserer Zukunft um?“ Die Rednerin Pfarrerin Werner rief auf zum „Protest gegen den unverantwortlichen Umgang mit der Schöpfung“, die Christen wurden aufgerufen, „Verantwortung für Menschen, Natur, Gesundheit und Schöpfung zu übernehmen“.
Untergräbt die Gemeinde St.- Petri-/St. Marien mit ihrem Vorhaben, einen Teil der Friedhofsfläche zu verkaufen, nicht diese so wichtige Mission der Kirche? Stellt sie sich mit solchen Immobiliengeschäften nicht in die Reihe derer, die materielle Belange über alles andere stellen? Hier verbindet sich die Kirche mit den Gewinnsuchenden und opfert dafür ein Stück der Schöpfung sowie ihren eigenen Auftrag!
Weiterhin verwundert uns, wie schnell und unkompliziert die Kirchengemeinde die Frage der Pietät behandelt. Auf der als Bauland vorgesehenen Fläche liegen seit Jahrhunderten die Gebeine Verstorbener. Wie viele Generationen wurden hier seit 1858 beerdigt?
Zwar sind die Liegedauern für die Gräber überschritten, aber ein Teil der Gräber ist bepflanzt wird offenbar besucht im Andenken Verstorbener. Was würde mit den Gebeinen geschehen, die bei baulichen Ausschachtungen zutage treten?
Der Verkauf des Friedhofs an der Heinrich- Roller- Straße wird auf aktives Betreiben der Kirchgemeinde und insbesondere von Pfarrer Krug als Vorsitzenden der Friedhofskommission vorbereitet. Der Verkauf soll zügig vollzogen werden. Vor Ort waren weder die Anwohner im Sinne einer Bürgerbeteiligung noch die Bezirksverordneten als die politisch Verantwortlichen in den geplanten Verkauf der Fläche als Bauland mit einbezogen. Dabei kollidiert die Bebauung der Friedhofsfläche massiv mit öffentlichem Interesse. Nach §6 des Friedhofsgesetzes ist die übliche Folgenutzung von Friedhöfen aus Gründen der Pietät grundsätzlich eine als Grünfläche. Weder ist eine eingehende Prüfung der Fläche auf die Sinnhaftigkeit einer Bebauung erfolgt, noch stellt die finanzielle Situation der Friedhofsträger das einzige öffentliche Interesse dar.
Hier stellt Pfarrer Krug die Interessen seiner Gemeinde über alle anderen öffentlichen Interessen. Erinnert ein solches Verhalten nicht eher an einen neoliberalen Manager als an den Vorsteher einer christlichen Gemeinde?
Wir, die Bürger im Bezirk Prenzlauer Berg, werden mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln für den Friedhof kämpfen, für die Erhaltung der Natur und der Schöpfung, für die vielen Menschen, die hier leben, für unsere Kinder und nicht zuletzt für unsere Zukunft.
Wir werden diesen Brief der Öffentlichkeit zugänglich machen in Form der Internetpräsentation und der Mitteilung an die Presse.
Berlin, den 22.06.2007
Bürgerinitiative „Friedhof an der Heinrich-Roller-Straße“
In Vertretung: Dr. Renate Heyne
Kontakt: renateheyne@gmx.de